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Berlin 27022017 Kunst am Bau
Klinikum Erweiterungsbau Operationstrakt Kantonspital Basel-Stadt Realisierung 2016/17
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Berlin 27022017 Kunst am Bau
Klinikum Erweiterungsbau Operationstrakt Kantonspital Basel-Stadt Realisierung 2016/17

 

Realisierung: 2017
Technik: Zeichnung Übertragen auf Siebdruck hinter Glas
Umsetzung/Druck: Atelier Weidmann GmbH Architekten: Steigerconcept
Auftrageber Universitätsspital Basel-Stadt Bilder: Marc Straumann, Zürich
Text: Carina Herring. Berlin
Die Arbeit wurde von der Jury des den Kunstkredit Basel- Stadt und Bau- und Verkehrsdepartement Basel-Stadt zur Ausführung empfohlen.

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Die gläsernen Trennwände im Durchgangsbereich zwischen den Arbeits- und Besprechungsräumen und dem Korridor der Operationsabteilung sind mit Zeichnungen des Künstlers Beat Brogle bedruckt. Er hat auf vierzig raumhohen Glastrennwänden von insgesamt dreissig Metern Länge einzelne Zeichnungsmotive mittels Siebdruck aufgetragen. Das Druckverfahren ermöglicht es, unterschiedliche Motive mehrmals und in Schichten übereinander zu drucken, sodass durch freie Drehung, Verschiebung und Überlagerung einzel- ner Bilder viele Variationen der Motive entstanden sind.
Die Glasflächen, verbindend und trennend zugleich, sind mit feinem, gestischem, schwarzem Strich bezeichnet. Je nach Dichte der Zeichnung ist der Raum dahinter mehr oder weniger einsehbar. Gerade und geschwungene, durchgezogene, gestrichelte und unterbrochene, gespannte und schlaffe, runde, eckige, kantige, gewellte Linien bilden Volumen und Felder, Zyklen, Radien und Achsen, Verdichtungen und Auslassungen. Sie erscheinen schwebend leicht, fragil und in ständiger Veränderung begriffen. Die Gesten sind teilweise akribisch ausgearbeitet, teilweise locker schnell skizziert, stellenweise werden sie immer dichter und unergründlicher, andernorts lösen sich wie zu Staub geworden auf. Mal verästeln und verweben sie sich über den gesamten Bildgrund, dann nehmen sie wieder verhalten kaum mehr als ein Viertel des Glases ein.
Auch wenn die Zeichnungen abstrakt sind und zunächst keinen konkreten Inhalt zu bieten scheinen, erzeugen sie beim Betrachter doch einen konstanten Trompe-l’oeil Effekt des Etwas-Erkennens. Vage Bilder oder Erinnerungen klingen an, die die sinnlichen Formen evoziieren und die Einbildungskraft aktivieren. Sie fungieren als sinnlicher Film zwischen den Räumen und transportieren die Absicht des Künstlers, Organik in die hoch funktionale Umgebung des Operationsbereiches zu bringen.
Die strukturierenden Eigenschaften sind Rhythmus und Wiederholung, Komplexität und Reduktion, gerichtete und ungerichtete Bewegtheit. Linien, die wie Fluchtlinien erscheinen, führen den Blick zu einer leeren Bildmitte bzw. zu mehreren außermittigen Fluchtpunkten hin. Um die sich auf der Fläche als transparente runde oder ovale verteilenden Felder ordnen sich wuchernd zeichnerische Dichte- fluktuationen, intensivieren sich, bis sich aus zarten Linien dunkle Agglomerationen bilden. Aus ihnen führen immer wieder konzentrische Bewegungslinien heraus, die den Formationen nur eine kurze Dauer zu erlauben scheinen, um im gleichen Moment auch schon wieder zu zerfallen und andere Formationen einzugehen. Teilweise scheinen gerade Linien mit ihrem drängendem Impuls aus der Mitte über die Grenzen des Bildes hinauszuweisen wie Richtungsvektoren, die die Kraft visualisieren, mit der das Gebilde bereits von innen heraus am Explodieren ist.
Gleichzeitig bettet ein vages Koordinatensystem aus feinen Linien die Ereignisse in eine unmerkliche geometrische Ord-
nung ein, die die Gewisheit entstehen lässt, dass selbst das ausuferndQuellende in einer größeren Logik und letztlich in einer Einheit ruht.
Im Kontext eines Klinikums sind Assoziationen zu Körper, Organismen, Nervensystemen oder Blutgefässen naheliegend, es können aber auch andere Sichtweisen entstehen. In den rätselhaften und spannungsreichen Beziehungen der gestischen Markierungen der Zeichnung klingen kartografische Elemente oder musikalische Notationen an, Topografien, Flussverläufe, Phänomene wie Windböen und Strudel. Je stärker man sich ins Detail vertieft, um so mehr gewinnen Formen Kontur, vielleicht aber nur – wie in einem Spiegelkabinett –, um immer wieder den gleichen, ähnlichen oder analogen Anordnungen und Dynamiken zu begegnen? Um das Große im Kleinen gespiegelt zu sehen?
Außen und Innen, Neuronengeflecht und jene verwirrende Erfahrung des Menschen seiner selbst als einem oft chaotischen Fluss von Gedanken und Empfindungen werden in der Zeichnung zu zwei Seiten ein und derselben Wirklichkeit. Ob wir die Wirklichkeit als Raum, Zeit, Materie und Energie beschreiben, oder aber in den unauslotbaren Tiefen der Psyche suchen, bleibt letztlich eine Frage der Perspektive.
So ist es den Zeichnungen wesentlich, dass sie kein eindeutiges Motiv zu erkennen geben, sondern den Schwebezustand zwischen Vagem und unbewusst Vertrautem beibehalten. Damit thematisiert sie auch ein wahrnehmungspsychologisches Prinzip, denn es wird sich an ihr der Akt des Sehens und Erlebens nachvollziehen lassen. Das Sehen benötigt die Einbildungskraft, den Abgleich mit Erinnertem, mit etwas, das das individuelle Bildgedächtnis aktivieren kann: Das Sichtbare ist auf die Erfahrung und die Fantasie – die Bewegtheit – des Betrachters angewiesen. Dieser konstituierende Prozess wird in der Zeichnungen greifbar werden. Es geht dabei auch um die Intensität der Unmittelbarkeit, den zeichnerischen Bildraum als erlebbare Situation zu gestalten, die den Betrachter ohne Theorie und Vorwissen in eine bildliche Empfindung einbindet.
Damit wird die Zeichnungen auch ein Bewusstsein für die Grenze der Sinngebung entstehen lassen, an der sich die Kraft der Bilder artikuliert – und auch entzieht. Somit wird letztlich nicht die inhaltliche Deutung, sondern ein tieferes Verständnis dafür zu gewinnen sein, wie Erkenntnis funktioniert.

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